Extrem volle (Inklusions-)klassen
Die Situation in den Grundschulen wird leider immer fataler. Ganz abgesehen von Corona sind viele Lehrkräfte der Grundschulen schon lange am Limit. Nun spitzt sich die Situation in Solingen aufgrund von hohen SchülerInnenzahlen im nächsten Schuljahr noch weiter zu. Nach den Plänen von Schulverwaltung und Schulaufsicht sollen Grundschulklassen im nächsten Schuljahr bis auf 29 Kinder aufgefüllt werden können, und zwar auch die Klassen des gemeinsamen Lernens (Inklusionsklassen).
Die Fachgruppe Grundschule der GEW Solingen sieht diese Entscheidung sehr kritisch. Schon bei einer Klassengröße von 25 Kindern ist eine optimale Förderung und zufriedenstellender Unterricht kaum noch leistbar, erst recht nicht in Inklusionsklassen. Dies ist zwar rechtlich möglich, aber nicht sinnvoll. Weder für die Kinder noch für die Lehrkräfte.
Julia Bemboom, Vorsitzende der Fachgruppe Grundschule: „Viele KollegInnen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit durch den seit vielen Jahren bestehenden Lehrkräftemangel und die zusätzlichen Herausforderungen der Corona-Pandemie. Umso unglaublicher ist es, dass die Schulverwaltung es nicht geschafft hat, rechtzeitig auf steigende SchülerInnenzahlen zu reagieren.“ Sie fragt ironisch: „Wie konnte man auch vor sechs Jahren ahnen, dass die gerade geborenen Kinder sechs Jahre später in die Schule wollen?“
Mit 29 Kindern in einer inklusiven Klasse ist eine sinnvolle und nachhaltige pädagogische Arbeit, die jedem einzelnen Kind hinsichtlich seiner individuellen Bedürfnisse gerecht wird, nicht zu gewährleisten und die Gefahr, dass immer mehr KollegInnen in diesem eigentlich schönen Beruf „ausgebrannt“ werden, ist aktuell sehr hoch.
Die Fachgruppe Grundschule appelliert an die Schulverwaltung und Schulaufsicht, mit aller Kraft nach anderen Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Fachgruppe Grundschule, GEW Solingen
Ansprechpartnerin Julia Beemboom: j.bemboom[at]gmx.de
Hintergrund:
Die meisten KlassenlehrerInnen des gemeinsamen Lernens stehen jetzt schon vor großen Herausforderungen. Von regelmäßiger Unterstützung durch SonderpädagogInnen ist aufgrund von Lehrkräftemangel fast keine Rede mehr. Die KlassenlehrerInnen sind die meiste Zeit allein mit ihrer völlig heterogenen Gruppe und müssen verschiedene Förderschwerpunkte gleichzeitig abdecken (emotionale und soziale Entwicklung, Hören, Sprache, geistige Entwicklung, Lernen und motorische und körperliche Entwicklung). Sind KollegInnen krank, werden die SonderpädagogInnen in die Vertretung geschickt, damit kein Unterricht ausfällt. Eine gute Förderung für die Kinder mit Förderbedarf findet somit oft wochenlang gar nicht statt oder nur sehr eingeschränkt. Ursprünglich sollten maximal zwei Kinder mit Förderbedarf in einer Grundschulklasse sein, mittlerweile sind es bis zu fünf Kindern.
Die Belastung ist aber nicht nur in den Schulen des gemeinsamen Lernens größer geworden. Auch in Regelklassen führen Klassenstärken über 25 zu extremen Belastungen der Lehrkräfte.
Innerhalb des Klassengefüges gibt es eine starke Leistungsspanne. Viele Kinder bräuchten eine 1:1-Betreuung oder konstante zusätzliche Hilfestellungen und Erklärungen beim Lösen der Aufgaben. Nur selten gibt es Unterstützung durch Doppelbesetzungen. Hinzu kamen in den letzten Jahren verstärkt Kinder u. a. aus Flüchtlingsfamilien ohne jegliche Deutschkenntnisse, die teilweise traumatisiert sind. Und die nächste Flüchtlingswelle wird aktuell erwartet.
Durch die Coronapandemie (lange Schließungen von Kindergärten, Wegfall von sportlichen Aktivitäten im Sportverein, Wegfall von Kindergruppen etc.) ist aktuell eine Vielzahl von Kindern mit Auffälligkeiten im emotional-sozialen Bereich hinzugekommen. Hier bräuchte man eigentlich kleinere Klassen, um mit diesen Kindern das soziale Miteinander spielerisch zu lernen.
Hinzu kommt bei großen Klassen die räumliche Enge. Ein durchschnittlich 55 qm großer Klassenraum lässt keine freie Entfaltung zu, erschwert offene Arbeitsformen und birgt ein sehr hohes Konfliktpotential, welches sich leider auch in den beengten Räumen des offenen Ganztages fortführt.
Zu den ganzen Aufgaben kommt eine stetige Zunahme von Elterngesprächen, Gesprächen mit Therapeuten, Kinderärzten, außerschulischen Institutionen etc. Die Aufgabenbereiche einer Lehrkraft nehmen stetig zu, doch von Entlastung keine Spur.
Pressekontakt: Dirk Bortmann Tel.: 01 76 / 96 64 54 90
Mail: dirk.bortmann@gew-solingen.de
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